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Der wirkungsvolle Bildaufbau eines Kopfporträts

Alleine nur der Bildaufbau eines Kopfporträts kann die Wirkung eines Bildes drastisch verändern. Welche verschiedenen Faktoren diese Änderungen bewirken, schauen wir uns in diesem Artikel an.

Es gibt verschiedene Arten von Porträts. Es gibt das Kopfporträt, bei dem nur der Kopf zu sehen ist, das Schulterstück oder Büste, bei dem auch die Schulterpartie sichtbar ist, das Bruststück, das bis unter die Brust geht, die Halbfigur, das Hüftbild, das Kniestück und das Ganzkörperporträt. Diese Bezeichnungen kommen aus dem klassischen Bereich der Malerei und beziehen sich immer auf den Bildausschnitt.

Viele Laien verstehen unter einem Porträt oftmals nur die Darstellung des Kopfes. Doch wie wir nun wissen, ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Denn unter einem Porträt versteht man, vereinfacht dargestellt, das Bildnis eines Menschen, bei dem – meist – das Gesicht erkennbar ist.

In diesem Artikel möchte ich mich ausschließlich dem Kopfporträt und dem Schulterstück widmen, da diese beiden Bereiche sehr eng beieinander liegen und nahezu grenzenlos ineinander übergehen. Moderne Fotografen würden ein Kopfporträt vielleicht Close-Up nennen, doch ich bevorzuge die Begriffe meiner Muttersprache. Wobei, ganz nebenbei gesagt, ein Close-Up für mich ein sehr enger Schnitt des Gesichtes ist, bei dem oftmals verschiedene Bereiche wie Haare oder Kinn gar nicht sichtbar sein müssen.

Bei einem Kopfporträt geht es aus der Sicht der Bildgestaltung also darum, alleine mit dem Kopf eine wirkungsvolle Geometrie zu erzeugen, die im Bild Spannung erzeugt. Dort wo man sonst vielleicht noch Arme, Hände, Beine, einen Oberkörper oder einen Hintergrund hinzuziehen kann, muss man sich bei einem Kopfporträt wirklich nur auf die Eigenschaften konzentrieren, die uns die menschliche Natur bereit hält.

Bei meinen Workshops und Seminaren stelle ich beim Sichten der Bilder meiner Teilnehmer oft folgendes Phänomen fest. Der Kopf wird oftmals direkt zentriert in der Bildmitte darstellt. An den Seiten und am oberen Bildrand gibt es meist gleich viel Abstand zu den Bildkanten. Das liegt daran, dass die meisten Fotografen den mittleren Fokusmesspunkt nutzen, doch aber nach dem Fokussieren nicht den Bildausschnitt verändern. Das Ergebnis sind oft sehr statische, wenig spannende und oft ähnliche Ergebnisse.

Dabei ist es so einfach durch ein klein wenig Varianz viel mehr Spannung in solch ein Bildnis zu bringen. Die folgenden Punkte sollen dabei helfen beim nächsten Porträt-Shooting einfach mal etwas mehr zu experimentieren und die verschiedenen Ergebnisse gegenüber zu stellen. Es gibt hier kein richtig und kein falsch. Vieles ist subjektiv. Aber es haben sich bestimmte Formen der Anordnung heraus kristallisiert, die auf den Betrachter wirkungsvoller erscheinen als andere.

Augen, die von oben schauen, wirken mächtiger

Augen, die in einem Bild überhalb der vertikalen Bildmitte liegen wirken immer mächtiger als solche, die sich unterhalb der Bildmitte befinden. Denn Augen, die von oben “auf uns herab” schauen symbolisieren Stärke, Macht und Größe. Alleine schon, dass man also darauf achtet, dass die Augen in der oberen Hälfte oder gar im oberen Drittel des Bildes platziert werden, lassen den Menschen viel erhabener erscheinen.

Augen oberhalb der Mitte
Augen zu mittig

Rechts im Bild ist die spannendste Stelle

Wir Europäer lesen von links nach rechts und von oben nach unten. Diesem Leseverhalten entsprechend wandern unsere Augen auch nach dem gleichen Schema über ein Bild. Das geschieht unbewusst und innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde.

Unser Auge startet also in der linken oberen Bildkante, bis es an der rechten unteren Bildkante das Bild wieder verlässt. Unsere Aufgabe als Fotograf ist es nun, uns dieses Wissen zu nutze zu machen und das Auge des Betrachters zu leiten und zu führen.

Platzieren wir also den Kopf im linken Bildbereich und lassen den rechten Bildbereich frei, wandert unser Auge nur über den linken und durch Inhalt gefüllten Bildbereich und lässt den rechten komplett aus. Denn hier ist nur leere Fläche, ohne Information. Es gibt für das Auge keinen Grund darüber zu wandern. Man kann also sagen, dass wir das Bildformat nicht sinnvoll ausnutzen.

Indem wir das gleiche Bild horizontal spiegeln, kann eine komplett gegenteilige Wirkung entstehen. Nun wandert das Auge von links oben durch die leere Fläche hinweg und zwar so lange, bis das Auge auf eine Bildinformation am rechten Rand stößt. Stellen wir uns das Wandern des Blickes in 1000facher Zeitlupe vor, dann kann man davon sprechen, dass eine Art Spannung aufgebaut wird, solange das Auge über die leere Fläche wandert. Denn unser Gehirn erwartet eine Bildinformation, die es verarbeiten kann. Doch da diese erst zum Schluss, also am rechten Bildrand kommt, nutzen wir das Format bestens aus.

Unser Auge wandert also komplett durch das ganze Bild, ohne dass es ungenutzte Bereiche gibt, die von unserem Auge “unangetastet” bleiben.

Einfaches Prinzip, große Wirkung, oder?

Hier muss das Auge erst die freie Fläche überbrücken, ehe es zum Bildinhalt gelangt.
Das Auge kommt links im Bild und bleibt auch gleich am Gesicht heften. Die freie Fläche rechts wird vom Auge gar nicht überflogen.

Das Licht bestimmt die Richtung

Beim Licht verhält es sich ähnlich. Je nachdem aus welcher Richtung das Gesicht beleuchtet wird, ergibt sich eine helle Gesichtsseite und eine Schattenseite. Zumindest dann, wenn man mit einem Seitenlicht arbeitet. Auch hier ist es von entscheidender Bedeutung, ob das Licht durch das Bildformat hindurch auf das Gesicht fällt oder sich direkt am Bildrand befindet.

Wenn man diesen Aspekt mit dem zuvor genannten kombiniert, dann ergeben sich plötzlich völlig neue Möglichkeiten der Bildgestaltung. Auch hier heißt es: experimentieren und ausprobieren, was die größte Wirkung für welche Bildaussage hat.

Das Licht scheint in das Bild hinein und hat Raum zur Entfaltung.
Das Licht hat kaum Raum sich zu entfalten, es ``klebt`` quasi am Rand.

Rechts ist die Zukunft und links die Vergangenheit

Aus dem Film kennt man es, wenn Menschen nach links laufen. Dann laufen sie zurück, also in die Vergangenheit. Laufen sie nach rechts, dann geht es dem Ziel entgegen, also in die Zukunft. Wenn wir uns nun vorstellen, erst läuft der Protagonist von links nach rechts durch das Bild und in der zweiten Einstellung von rechts nach links, dann werden die meisten von uns den Eindruck haben, als liefe dieser wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt.

Wenn wir uns dieses Wissen zu Nutze machen und es auf die Fotografie adaptieren, dann kann man davon sprechen, dass ein Blick nach rechts ein zukunftsweisender und vielleicht auch hoffnungsvoller Blick ist. Wohingegen ein Blick nach links eher zurück schaut, in die Vergangenheit und vielleicht eher melancholisch wirken könnte.

Auch hier lässt sich dieses Wissen wunderbar mit den zuvor genannten Punkten kombinieren. Die Möglichkeiten der Bildgestaltung und damit der Bildaussage potenzieren sich plötzlich.

Das Model schaut nach rechts, also in die Zukunft
Das Model schaut nach links, also in die Vergangenheit

Der Blick ist die stärkste Linie im Bild

Der Blick des Models führt den Betrachter so stark, wie kaum ein anderes Element im Bild. Man kann sich den Blick somit als eine Führungslinie im Bild vorstellen. Diese Linie beginnt am Auge des Models und endet genau am dem Punkt des Bildrandes, an den das Model schaut.

Auch hier macht es also Sinn, den Blick hinein ins Bild zu führen und nicht heraus. Der Bildaufbau resultiert auf der Basis der Blickrichtung des Models. Das Arbeiten mit leeren Flächen im Bild bietet sich hier besonders an.

Mit etwas mehr Abstand zwischen Augen und Bildrand erzeugt man eine Gewisse Spannung.
Der Abstand der Augen zum Bildrand hin ist hier sehr kurz.

In Das Bild schauen, oder daraus hinaus

Lässt man sein Model aus dem Bild heraus schauen, wird die freie Bildfläche überflüssig und erfüllt keinen Zweck. Nutzt man diese allerdings und lässt das Model in das Bild schauen, dann bekommt sie plötzlich eine Bedeutung.

Das Model schaut in das Bild hinein, dadurch wird der Freiraum entsprechend genutzt.
Das Model schaut aus dem Bild heraus, dadurch ergibt sich ungenutzter Freiraum rechts.

Fazit:

  1. Je nachdem ob sich die Augen über- oder unterhalb der Bildmitte befinden, ändert sich die Bildaussage.
  2. Da wir Bilder von links nach rechts lesen, erhöhen wir die Spannung, wenn wir wichtige Bildelemente rechts im Bild platzieren.
  3. Je nachdem von welcher Seite das Licht im Bild kommt, ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, ob sich das Licht “innerhalb” des Bildes befindet oder von “außen” herein scheint.
  4. Der Blick in die Zukunft oder in die Vergangenheit kann einem Bild eine gegensätzliche Aussage geben.
  5. Lass dein Model in den meisten Fällen eher in das Bild hinein schauen, als heraus.

Wie bei jeder Regel gilt der Leitsatz: Man sollte die Regel kennen, um zu wissen, wie man sich ihrer bedient oder sie bewusst bricht. Von daher sind die hier vorgestellten Beispiele nur Orientierungen, mit denen man experimentieren sollte. Im Einzelfall kann es natürlich viel zielführender sein diese bewusst zu umgehen und die Bildgestaltung auf anderem Wege zu vollziehen.

Viel Spaß beim Ausprobieren.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Mario Schlebe

    Interessant! Mit dem lesen von rechts nach links funktioniert aber eigentlich nur in unsren Breiten und Längen. In Asien oder auch im arabischen Raum ist es eher umgekehrt.

  2. Matthias

    Schön erklärt – auch wenn ich das eigentlich alles schon wusste, aber es ist ja nie schlecht, sich mal wieder der Grundlagen zu vergegenwärtigen. Gerade die Bebilderung wird vielen Einsteigern helfen und verdeutlicht die von Dir genannten Aspekte hervorragend!

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