Photophilosophie: Kann ein Porträt authentisch sein?

Ich höre immer wieder Aussagen von Menschen wie: Für mich ist ein Porträt nur dann gut, wenn es authentisch ist. Doch wann ist ein Porträt authentisch? Kann es überhaupt ein authentisches Porträt geben? In diesem Video setze ich mich mit dieser Frage auseinander.

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Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Udo Gehrmann

    Hallo Corwin,

    da hast du dir viele Gedanken gemacht und ja auch offensichtlich an einem Buch zu diesem Thema mitgewirkt. Grundsätzlich gebe ich dir Recht, das es wenig wahrscheinlich ist das zufällig ein fremder Mensch mit schußbereiter Kamera in irgendeinem Schlafzimmer steht. Ohne Vorbereitung und Planung kommt aber noch nicht mal im Streetbereich ein Bild zustande. Wenn du da mit leerem Akku und voller Karte losziehst wird das eben nichts.
    Ich glaube allerdings das der Begriff „authentisch“ derzeit so strapaziert wird, weil uns genau das in unserer zunehmend digitalisierten, virtuellen Welt abhanden gekommen ist und wir gerade bei Berichterstattungen und Bildern nicht mehr genau wissen wie weit deren Inhalt für uns zubereitet, und/oder reduziert wurde.
    Ich fotografiere nur als Hobby und finde inzwischen den Portraitbereich am Interessantesten.
    Dabei habe ich schon Bilder gemacht, die ich so nicht wieder machen würde.
    Ich glaube ein gutes, ehrliches (=authentisches?) Portrait beginnt mit der Intentention und Motivation des Fotografen, es bedingt im Idealfall Liebe zur eigenen Arbeit und Interesse am Gegenüber. Wenn es dann noch gelingt eine Atmosphäre zu erzeugen, in der Kamera und Situation nebensächlich werden, kann meiner Meinung nach ein echter Gesichtsausdruck und/oder eine natürliche Körperhaltung eingefangen werden.
    Für mich sind übertriebenes Make-Up, Hairstyling, Posen nach Regie, auffälliges Outfit und eine umfangreiche Bildbearbeitung Ausschlußkriterien für ein „autenthisches“ Portrait.

    Gruß
    Udo

    1. Corwin von Kuhwede

      Lieber Udo,

      vielen lieben Dank für deine ausführlichen Worte. Der Begriff ist tatsächlich strapaziert. Genau deswegen finde ich es wichtig, dass man immer wieder die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes hinterfragt um dann neu zu überdenken, was eigentlich damit verbunden ist.

  2. Richard

    Hallo!

    Porträt authentisch oder emotional oder was auch immer.
    Vor einiger Zeit habe ich mir auch zum Thema Porträt gedanken gemacht und dann folgenden Text geschrieben:

    Mich haben schon immer Porträts fasziniert. Ich möchte meine Meinung zum Thema Porträt und auch Porträtfotografie etwas ausführlicher mitteilen. Ich habe etwas, eigentlich etwas mehr als nur etwas, recherchiert und herausgefunden, dass doch sehr viele Menschen an Porträts (im Sinne von Abbild, Bildnis, Bild) als „Spiegel der Seele“, „Ausdruck des Wesens“ oder „Abbild des Charakters“ wirklich glauben („glauben“ – hier ist das, denke ich, das richtige Wort). Sogar Wikipedia schreibt was dazu in diesem Ton: „Die Absicht eines Porträts ist es, neben der Darstellung körperlicher Ähnlichkeit auch das Wesen, bzw. die Persönlichkeit der porträtierten Person zum Ausdruck zu bringen“.

    Das alles ist jedoch sehr allgemein gehalten, mit jeder Menge Slogans, praktisch nur mit Parolen, mit Phrasen … Viele Fotografen (und nicht nur sie) nutzen genau solche nichts sagende Sentenzen auf ihren Internetseiten, danach kommt aber gar nichts, keine Erklärung, keine Hilfe (für Fotografen oder für Fotografierten) wie das zu erreichen wäre oder es fehlt einfach eine Darlegung, wann ein Foto die Seele zeigt und wann nicht. Ich habe mir Gedanken gemacht, die ich zu sammeln versucht habe. Daraus ist ein Text entstanden, den Sie hier lesen können.

    Kleine Bemerkung: mir ist bewusst, dass die im Grunde genommen sehr persönliche Meinung, ziemlich kontrovers ist und nur sehr wenige teilen sie mit mir. Bis jetzt konnte mich aber keiner mit einfachen, klaren und verständlichen Gegenargumenten überzeugen, dass ich im Unrecht bin. Vielleicht irgendwann, irgendjemand …

    – Ein Porträt – der Spiegel der Seele? Der Ausdruck des Wesens? Ein Porträt zeigt die Persönlichkeit? Zeigt den Charakter? Nein! Ein Porträt ist nur ein Schauspiel (Täuschung, Inszenierung, Interpretation, Anschein, Trugbild, Vermutung, Verschleierung, Veranstaltung, Darbietung, Vorführung, Spielerei, Illusion …).

    Ich habe schon mehrmals gelesen oder gehört, dass ein Porträt nicht nur die reine Abbildung äußerlichen Aussehen ist, sondern die sog. inneren Werte und Wesenszüge zeigt (oder zeigen soll), es soll auch oder sogar vor allem die Persönlichkeit darstellen. Ich frage mich: wie soll das denn gehen? Wie kommt man überhaupt auf so was? Ich bin verdammt neugierig wie man ein Porträt mit Seele, in erster Linie erkennt und dann wie man von einer Abbildung die Charaktereigenschaften, die sog. Seele, die Wesenszüge, die innere Werte und die Persönlichkeit bestimmen (lesen, erfassen, beurteilen, deuten, feststellen, ermitteln …) kann. Wie geht das?

    Nehmen wir die Fotografie – heute die gängigste Methode ein Porträt zu fertigen. Es ist doch unmöglich in 1/125s (meistens benutzte Verschlusszeit – im Studio) irgendwelche Persönlichkeitsandeutungen zu fassen (einzufangen) und zeigen. Das geht einfach nicht. Auch wenn man von Spontaneität sprechen würde dann ist das Zufall, dann ist das gerade nur der Sekundenbruch, der genau so gut lügen kann wie die Wahrheit sagen. Und meistens lügt er! Wer will die (ganze) Wahrheit zeigen? Wer möchte seinen Charakter preisgeben? Keiner! Und wie geht das überhaupt? Jeder (!) möchte einfach schöner aussehen, jeder möchte positiver aussehen, jeder möchte einen guten Eindruck machen … Ausnahmen bestätigen die Regeln.

    Meine Meinung ist ziemlich klar: ein gestelltes Porträt sagt gar nichts (Null, Zero, im Gegenteil – meistens lügt es!) über eine Person. Es ist vor allem das Ergebnis von Vorstellungen des Künstler (Fotografen, Maler …) – er sagt was man zu tun hat, er wählt meistens die Lokation, die Position, den Blick, das Lächeln, er entscheidet … etc. Er macht (kann machen) aus einem schüchternen Mädchen einen sexy Vamp und umgekehrt (bitte als Beispiel nehmen). Er kennt die Person in der Regel gar nicht – und falls doch: Wie soll er die sog. „innere Werte“ überhaupt zeigen? Wer ist überhaupt in der Lage sie später zu „lesen“? Und warum behaupten so viele das zu können?

    Nehmen wir das Bewerbungsfoto – klassisches Porträt, ob man will oder nicht. Man geht vorher zum Friseur, man leiht sich vielleicht einen Anzug (oder Kleid), im Studio lächelt man künstlich (warum sollte einem gerade beim Fotografen nach Lachen sein?) und der Fotograf retuschiert (auf Wunsch) einen Pickel oder Doppelkinn weg – und daraus (!) soll dann der Personalreferent (im Namen des Arbeitsgebers) die innere Werte erkennen, den Charakter fehlerfrei beschreiben, ohne den Bewerber vorher jemals gesehen zu haben geschweige denn ihn kennen gelernt zu haben? Das ist doch ein Witz, oder? Woher soll der Referent wissen ob der Kandidat pünktlich ist, ob er fleißig und zuverlässig ist? Was genau erfährt der Personaler durch das Foto über den Bewerber? Dass der Bewerber braune Augen hat und dazu Vollbart? Oder doch mehr? Falls das Foto in Schwarz-Weiß gehalten ist, dann funktioniert das doch nicht mal mit der Augenfarbe.

    Auch wenn der Fotograf/Maler während eines gewöhnlichen Shootings auf Anweisungen verzichtet, versucht sich das Model doch in einem positiveren Licht darzustellen. Logisch, wer möchte schon etwas Negatives zeigen? Ein böser Blick sollte nicht direkt auf eine böse Person schließen lassen (böse, schlechte Persönlichkeit), Ein Lächeln zeigt nicht nur eine lustige Person. Jemand der ernst schaut, kann auch eine sehr humorvolle Person sein. Man kann keine (wahre) Persönlichkeit (Charakter, Eigenart, Eigentümlichkeit, Natur, persönliche Note, Wesensart etc.) nur anhand eines Porträts herausfiltern, das geht nicht! Solche Diskussionen, oft mit großer Überzeugung geführt, dass ein Porträt die Seele zeigen kann/soll/muss gibt es viele, aber ich finde, dass sie an der Realität vorbeigehen, es sind höchstens Wünsche, es ist eine reine Theorie, es sind nur Vermutungen … und für mich nur ein Märchen.

    Natürlich, man kann in einem Porträt auch Gefühle (Emotionen, Stimmung) transportieren, beispielsweise durch einen traurigen Blick, der in einem Foto eingefangen wurde – aber sagt dieser etwas über die Person aus? Auch dies kann gestellt sein. Außerdem: wenn man die verschiedene Darstellungsmethoden, Formen und Techniken in der Porträtmalerei oder Porträtfotografie kennt (und davon gehen wir meistens aus: der Fotograf oder der Maler wissen was sie tun) dann kann man auch aus einem Verlierer einen Siegertyp machen, einen selbstbewussten Mann als unsicher zeigen, eine Schönheit schlecht aussehen lassen, aber auch umgekehrt. Kann man das? Klar. Und zwar bewusst, aber auch unbewusst. Was hat das alles aber mit der Wahrheit über die abgebildete Person (Persönlichkeit) zu tun? Gar nichts!

    Aber natürlich: es kann aber auch alles stimmen! Ein Bild kann auch die Wahrheit zeigen. Natürlich! Nur, woher wissen wir das? Kennen wir alle (!) porträtierten Personen so gut? Falls doch, dann sind das Ausnahmen.

    Wenn man von der besonderen Rolle des Porträts überzeugt ist, dann sollte man dies auch plausibel begründen. Also wie (!) zeigt man die (wahre) Persönlichkeit (Charakter, Seele, Eigenart, Eigentümlichkeit, Natur, persönliche Note, Wesensart etc.)? Auch ich möchte auf ein Porträt schauen und wissen, ob die abgebildete Person cholerisch oder phlegmatisch ist, ordentlich oder auch nicht, ob ihr rot mehr gefällt als grün und ob sie Hunde mag oder Katzen. Ich möchte auch erkennen können, ob die möglicherweise in einem Bild dargestellte Traurigkeit einer Person eine Momentaufnahme ist, oder ob diese immer traurig ist. Wenn dies nur in diesem Moment – was sagt mir das dann über diese Person … Ich will das aber nicht raten, nicht vermuten, nicht suchen, ich will einfach wissen. Wie geht das? Wie kann ich ein Porträt „lesen“ (fehlerfrei natürlich) und wie kann ich so ein Porträt (mit wahren und klaren Informationen) machen/erstellen?

    Wir können gerne hier sogar Beispiele nennen. Nehmen wir einfach das, ohne Zweifel, berühmteste Porträt der Welt: Mona Lisa. Was wissen wir genau und sicher über diese Person? Wer kann behaupten, dass er was weiß? Wer kann sich sicher sein … Oder Albert Einstein auf dem bekannten Foto mit der ausgestreckten Zunge. Was sagt uns dieses Foto? Dass er ein Komiker (Clown?) war?

    Ein anderes Beispiel. Es gab mal eine TV-Sendung. Ein Reporter auf der Straße hat junge Leute zum Experiment eingeladen. Im Studio warteten Fachleute, die behaupteten, dass sie von Fotos (Porträts) viel von den abgebildeten Personen sagen können. Man hat Fotos von den jungen Menschen gemacht und … Es war eine Blamage, es war eine Bloßstellung, es hat nichts gestimmt, im Gegenteil – es wurden frei erfundene Märchen erzählt, die praktisch jede Person betreffen können.

    Wenn man behauptet, dass man die Gabe hat ein Porträt zu „lesen“, dann muss das, was man „liest“, auch stimmen. Ein Porträt kann die (wahre) Seele/Persönlichkeit/Wesenszüge/Charaktereigenschaften nicht zeigen. Es ist nicht möglich! Wenn jemand in einem Porträt scheinbar eine bestimmte Charaktereigenschaft erkannt hat, dies jedoch nicht objektiv nachzuvollziehen ist (rational, nüchtern, klar, prosaisch …), dann behaupte ich, dass es sich nur um reine Fantasie handelt, um subjektive Deutungen, um Vermutungen, die mit der Wahrheit und Realität nichts zu tun haben.

    Wenn das so ist, warum behaupten dann so viele, dass sie es könnten? Wahrscheinlich handelt hier sich nur um leere Sprüche. „Spiegel der Seele“, „Ausdruck des Wesens“, „Abbild des Charakters“ oder „Bild mit Ausstrahlung“ sollte man nicht wortwörtlich nehmen. Man kann sie als eine Art Floskel betrachten, ohne tieferen Sinn und nicht ausreichend hinterfragt. Was aber auch nicht schlecht ist: Denn auch ich möchte eigentlich nicht, dass man mein Porträt wie ein offenes Buch liest. Gut, dass das doch unmöglich ist.

    Schöne Grüße
    Richard

  3. Richard

    Nein, Susan Sonntag kenne ich nicht. Meine Gedanken basieren auf meinem … Charakter ;), ich versuche einige Sachen rational, prosaisch und nüchtern zu betrachten. Einfach so, wie sie Wirklich sind, was alle sehen sollten und müssten. In der Fotografie und auch in der Kunst gibt es sehr viele Floskeln (Truismus, oft mit Pathos über sog. höheren Werten), die man gerne immer wieder wiederholt ohne selbst darüber nachzudenken. Wenn einer dann das Gegenteil behauptet wird das sofort als persönlicher Angriff angenommen, denn vieles wird für Kritik als Tabu angesehen. Darüber schreibt etwas Nicole Zepter im Buch „Kunst hassen: Eine enttäuschte Liebe“.

    Auf jeden Fall, es hat sich bis jetzt keiner gemeldet und sagte, dass ich nur Blödsinn und Quatsch zum Thema Portrait geschrieben habe und zeigte dabei unumstrittene und überzeugende Argumente.

    Grüße
    Richard

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